Was ist Intersektionalität?

Was meint der Begriff "Intersektionalität"?

Intersektionalität ist ein Begriff, der das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen beschreibt. Er wird sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in pädagogischen, bildungspolitischen und aktivistischen Zusammenhängen benutzt.

Woher kommt der Begriff?

Obwohl bereits verschiedene Gruppen, vor allem Schwarze1(Wir schreiben "Schwarz" in diesem Zusammenhang groß, um zu verdeutlichen, dass es nicht wirklich darum geht welchen Farbton genau die Haut einer Person hat, sondern um sozial konstruierte Gruppen) Feminist:innen in den USA, auf das Phänomen der Mehrfachdiskriminierung hingewiesen hatten2(vgl. Walgenbach 2012: 4ff) wurde der Begriff Intersektionalität das erste Mal von der Juristin und Professorin Kimberlé Crenshaw benutzt.

Sie analysierte mehrere abgewiesene Diskriminierungsklagen von Schwarzen Frauen. Dabei bemerkte sie, dass die Erfahrungen Schwarzer Frauen vor Gericht nicht als Diskriminierung anerkannt wurden, da es nicht dieselben Erfahrungen waren, wie die von weißen3(weiß steht hierbei für das innehaben einer gesellschaftliche Machtposition und wird bewusst kursiv geschrieben) Frauen oder Schwarzen Männern. Vielmehr wurden sie spezifisch als Schwarze Frauen benachteiligt.

Beispielsweise klagten fünf Schwarze Frauen gegen den Konzern General Motors wegen einem Vergütungssystem, bei dem es darauf ankam, wie lange jemand schon dort arbeitet. Allerdings wurden erst ab dem Jahr 1964 Schwarze Frauen überhaupt eingestellt. In der Klage wurde damit argumentiert, dass mit diesem System vergangene Diskriminierungen bis heute weiter wirken. Das Gericht lehnte dieses Argument ab, weil vor 1964 bereits weiße Frauen eingestellt wurden. Die Diskriminierung auf Grund von »Race«4(Wir verwenden das englische Wort »Race« um deutlich zu machen, dass es um das soziale Konstrukt geht und nicht um einen vermeintlich biologisch begründeten »Rassen«-Begriff) sollte lieber in einer anderen Klage verhandelt werden. Crenshaw beschrieb dieses Phänomen mit dem Begriff »intersectionality«, was sich vom englischen Wort »Intersection« für »Kreuzung« oder »Überschneidung« ableitet.5(vgl. Crenshaw 1989)

Was bedeutet Intersektionalität?

Gemeint ist damit, dass verschiedene Diskriminierungsformen nicht einzeln für sich wirken und einfach zusammengezählt werden können, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen und so auch neue Formen der Diskriminierung entstehen können. Crenshaw verdeutlicht das, mit dem Bild einer Kreuzung von zwei Straßen: Die eine Straße steht für Geschlecht, die andere für »Race«. Auf beiden Straßen können Unfälle im Sinne von Diskriminierung passieren. Wer aber in der Mitte der Kreuzung steht, hat ein höheres Risiko in einen Unfall verwickelt zu werden. Das wäre z. B. bei Frauen of Color der Fall: Autos können von einer Seite oder von mehreren Seiten gleichzeitig kommen. Nur nach Ungleichbehandlung auf Grund von Sexismus ODER Rassismus zu schauen wäre in diesem Bild dann so, als ob erst ein Krankenwagen gerufen wird wenn klar ist von welcher Straße genau das Unfallauto kam.6(vgl. Crenshaw 1989: 149)

Mehrfachdiskriminierung kann natürlich auch auf Grund weiterer Merkmale und Zuschreibungen passieren, z. B. geschlechtliche Identität, sexueller Orientierung, sozioökonomischer Status, Behinderungen oder Krankheiten, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit usw. Im Konzept der Intersektionalität ist dabei keine abgeschlossene Liste von gesellschaftlichen ‚Platzanweisern« festgeschrieben. Viel mehr wird betont, dass geschaut werden muss zu welcher Zeit, an welchem Ort, in welchem sozialen Umfeld Machtunterschiede und Diskriminierung vorherrschen und was das für die Betroffenen bedeutet.7(vgl. Offen 219: 4)

Ein Beispiel

Als Beispiel dafür nennt Nana Adusei-Poku die Verdächtigung der Opfer des NSU, selber Teil krimineller Strukturen zu sein. Die Kombination von Geschlecht, soziale Lage und ethnischer Herkunft, nämlich: Männlich, Arbeiter oder Kleinunternehmer und aus der Türkei oder Griechenland, aktivierte gesellschaftlich verankerte Vorurteile. Das führte dazu, dass es für wahrscheinlich gehalten wurde, dass die Opfer selber kriminell waren, anstatt ein rassistisches Motiv in Betracht zu ziehen8(vgl. Adusei-Poku 2012: 51), was die Aufklärung der Morde lange verzögerte, dem NSU sein weiteres Vorgehen ermöglichte und für die Betroffenen Familien eine zusätzliche Belastung hieß.

Zum Weiterlesen

  • Susanne Offen, Susanne; Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA) (2019): Intersektionalität als Bezugspunkt in Jugendarbeit und politischer Bildung? Herausforderungen eines beweglichen Modells. Link zur Publikation (letzter Aufruf: 07.11.2025)
  • Webseite des Portals für Intersektionalität. Forschungsplattform und Praxisforum für Intersektionalität und Interdependenzen. Link zur Webseite (letzter Aufruf: 07.11.2025)
Quellen

Adusei-Poku, Nana (2012): Intersektionalität: "E.T. nach Hause telefonieren"?. In: APuZ 62. Jg., Nr. 16-17, S. 47-52. Link zur Publikation (letzter Aufruf: 07.11.2025)

Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In: University of Chicago Legal Forum, Jg. 1989, Nr. 1, S. 139-167

Offen, Susanne (2019): Intersektionalität als Bezugspunkt in Jugendarbeit und politischer Bildung? Herausforderungen eines beweglichen Modells. Link zur Publikation (letzter Aufruf: 07.11.2025)

Walgenbach, Katharina (2012): Intersektionalität – eine Einführung. Link (letzter Aufruf: 07.11.2025)

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