Mit Restorativen Praktiken ein positives und sicheres Schulklima fördern
Das Modellprojekt „Mit Restorativen Praktiken ein positives und sicheres Schulklima fördern“ hat das Ziel, die Restorativen Praktiken – deren Schwerpunkt auf dem Stärken von Beziehungen und der Prävention von und dem Umgang mit Konflikten liegt – an zwei Berliner Grundschulen zu integrieren.
Warum habt ihr das Projekt ins Leben gerufen?
Die Schulen sind wichtige Sozialisationsorte für Kinder und Jugendliche, die den Erwerb von Fachwissen und das Erlernen sozialer Fähigkeiten wie die eines demokratischen Miteinanders ermöglichen. Sie stehen aber auch vor großen Herausforderungen. Die Mitarbeiter:innen sind mit einer Vielfalt an kulturellen Hintergründen und besonderen Bedürfnissen konfrontiert und erleben herausfordernde Gruppendynamiken und teils auch Autoritätsverlust. Schulen, auch sogenannte Brennpunktschulen, stoßen bei dem Versuch, der Wissensvermittlung wie auch der Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen gerecht zu werden, oft an ihre Grenzen und auch die Elternarbeit wird oft als schwierig erlebt. Psychische, verbale und physische Gewalt unter Schüler:innen oder zwischen ihnen und Erwachsenen gehören häufig zum Alltag.
Mit der Pandemie sind die Herausforderungen der Schulen weiter gestiegen. Das Spannungsfeld zwischen der Vermittlung von Fachwissen und dem Erlernen sozialer Fähigkeiten hat sich weiter erhöht. Die eingeschränkten Kontakte führen bei vielen Kindern zu Stress, Überforderung, Hilflosigkeit oder auch Angstreaktionen. Die Folge können vermehrte Aggressionen sowie eine gesteigerte Anfälligkeit für autoritäre Angebote sein.
Deswegen ist es jetzt wichtiger denn je, dass Schulen mehr und mehr zu Orten werden, an denen sich Schülerinnen und Schüler, aber auch Erwachsene sicher und wohlfühlen. Und genau das ist das Ziel des Modellprojekts „Mit Restorativen Praktiken ein positives und sicheres Schulklima fördern“, das sich an dem Ansatz der Restorativen Praktiken (RP) orientiert, um die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Schulgemeinschaft zu stärken. Dadurch soll dazu beigetragen werden, dass manche Konflikte gar nicht erst entstehen bzw. eskalieren. Und gleichzeitig können die, die doch entstehen (und Konflikte sind ein normaler Bestandteil im Leben) zielführender bearbeitet werden, da klar ist, dass alle Teil der Schulgemeinschaft sind.
Wie läuft das Projekt ab?
Im August 2021 ist das Modellprojekt angelaufen. In der ersten Phase ging es darum, ein Konzept zur Implementierung der Restorativen Praktiken an Grundschulen zu erarbeiten und eine Schule in Berlin zu finden, an der das Projekt umgesetzt werden kann.
Seit Anfang des Jahres besteht nun die Kooperation zwischen dem Institut für Restorative Praktiken und der Herman-Nohl-Schule in Britz – Neukölln. Dabei wird die Schule durch ein ca. 3-jähriges Fortbildungs- und Coachingprogramm bei der Etablierung eines positiveren und sichereren Schulklimas sowie einer partizipativeren Dialogkultur unterstützt. Hierbei besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Leitungsteam und dem Kollegium der Schule, sodass gemeinsam Handlungspläne entworfen werden können, die sich an den konkreten Bedarfen der Schule orientieren.
Unsere zentrale Zielgruppe im Projekt sind die Erwachsenen, da Kinder soziale Fähigkeiten durch das Vorleben anderer entwickeln. Je bewusster sich Erwachsene dieser Vorbildfunktion sind und sich in ihr sicher fühlen, desto einfacher ist es, einen Rahmen für ein Miteinander und das Bearbeiten von Konflikten zu kreieren, in dem sich alle wohl und sicher fühlen können.
Anfang des Jahres haben wir in einer dreiteiligen Workshopreihe dem erweiterten Schulleitungsteam der Schule den Ansatz der Restorativen Praktiken vorgestellt und ihn erlebbar gemacht. Ebenso ging es darum, die Rolle von Führung im Veränderungsprozess zu beleuchten. Das Kollegium hatte die Möglichkeit, den Ansatz im Rahmen eines online-Schnupperkurses kennenzulernen.
Wichtig ist uns zum jetzigen Zeitpunkt ein sehr enger Austausch mit der stellvertretenden Schulleiterin und dem Schulleiter sowie die unterschiedlichen (teils auch externen) Akteur:innen der Schule kennenzulernen. Im neuen Schuljahr starten wir mit einem Studientag, bei dem das gesamte Kollegium tiefere Einblicke in den Ansatz bekommen wird. Da wir den Ansatz als gesamtschulischen Ansatz implementieren wollen, ist unser Ziel, dass an besagtem Studientag auch diejenigen teilnehmen, die nicht-pädagogische Aufgaben an der Schule wahrnehmen, z.B. Menschen aus dem Sekretariat und/oder der Hausmeister.
Da alle im System einen Einfluss auf die Schulgemeinschaft haben, ist es ein zentrales Anliegen des Projektes, wirklich allen an der Schule arbeitenden Menschen die Möglichkeit zu geben, sich aktiv an dem Veränderungsprozess zu beteiligen. In diesem Sinne wird für die Gestaltung des Veränderungsprozesses eine Steuerungsgruppe ins Leben gerufen, in der bestenfalls alle Perspektiven der vertreten sind und in Entscheidungen einfließen können.
Im Schuljahr 22/23 beginnt dann auch die Arbeit auf Klassenebene. Hierbei wird der Schwerpunkt auf den Kreisgesprächen im Stil der Restorativen Praktiken und der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Rosenberg liegen. Geplant ist, mit vier Klassen zu starten, die zuvor gemeinsam mit der Schule ausgewählt wurden. In diesen Klassen werden die Kreisgespräche etabliert, die einen zentralen Kern der RP ausmachen. In insgesamt 12 Wochen sollen die Lehrkräfte dazu in die Lage versetzt werden, selbst diese Art der Kreisgespräche anzuleiten. Nach den zwölf Wochen wird das Ganze dann in den nächsten 4 Klassen wiederholt, bis irgendwann alle Lehrkräfte Kreisgespräche anleiten können.
Im Jahr 2023 wird darüber hinaus die Arbeit mit den Eltern im Mittelpunkt stehen. Im letzten Projektjahr – also in 2024 – wird es vor allem um das Sicherstellen der Nachhaltigkeit des Ansatzes gehen. Es ist wichtig, dass es im Kollegium genug Menschen gibt, die den Ansatz der RP auch nach dem Projektzeitraum weiter in der Schule verankern.
Durch die Kooperation mit dem Projektteam “Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen” ist es im Projekt zudem möglich, jeweils einen Fragebogen für die Schüler:innen und die Lehrkräfte zu entwickeln. Die Befragungen sollen in 2022 und 2024 stattfinden und einen Einblick zu den Themen Anerkennung und Konfliktlösungsstrategien an der Schule geben.
Was braucht ihr damit das Projekt gelingt?
Das wohl Wichtigste für das Gelingen des Projektes ist eine gute Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteurinnen der Herman-Nohl-Schule. Wir als Projektteam sind Expertinnen auf dem Gebiet der Restorativen Praktiken, der Gewaltfreien Kommunikation und der Konfliktbearbeitung. Damit der Ansatz erfolgreich implementiert werden kann, ist es jedoch notwendig, dass ein kontinuierlicher Austausch zwischen uns und den Expert:innen aus dem Bereich Schule besteht – den Lehrkräften, Sozialarbeiter:innen, Erzieher:innen und all den anderen, die an Schule arbeiten – und wir immer wachsam, mit Blick auf die Schülerinnen und ihr Erleben sind.
Auch die Zeit zum Reflektieren hat in dem Projekt einen hohen Stellenwert. Erst dadurch wird ein hohes Maß an Flexibilität gewährleistet, die für die kontinuierliche Prozessorientierung unabdingbar ist. Es hat keinen Zweck, wenn wir einen Plan entwerfen und an diesem festhalten, auch wenn klar ist, dass dieser nicht zielführend oder gar kontraproduktiv ist. Neben der Supervision, die wir den Erwachsenen der Schule anbieten, ist es auch für uns wichtig, im engen Kontakt mit Expert*innen zu stehen, die uns coachen und unterstützen.
Wo liegen mögliche Herausforderungen?
Eine Herausforderung für das Projekt wird aller Voraussicht nach die an den meisten Schulen doch sehr knappe Ressource Zeit sein. Wie regelmäßig wird man es schaffen Zeit für Treffen, Coachings, Austausch oder zum Reflektieren zu finden?
Hinzu kommt auch, dass wir ein Modellprojekt sind, welches es so in der Form und mit diesem Ansatz in Deutschland noch nicht gab. Zwar muss das Rad nicht neu erfunden werden, da der Ansatz vor allem im englischsprachigen Raum schon viel zur Anwendung kommt, dennoch macht es natürlich einen Unterschied, ob es an deutschen Schulen Vorerfahrungen gibt oder nicht. Schlussendlich ist es auch gut möglich, dass die Pandemie hin und wieder ihren Teil dazu beitragen wird, dass die angedachten Pläne ins Wanken geraten oder hinfällig werden.
Im Großen und Ganzen sind wir aber sehr zuversichtlich und haben das Gefühl, mit der Herman-Nohl-Schule einen Kooperationspartner gefunden zu haben, mit dem der Prozess das Potenzial hat, sehr fruchtbar zu werden. Und darüber freuen wir uns sehr!
Diese Fragen beantwortete
Ivo Sodji