Gemeinsame Bildungscamps mit Teilnehmenden von Schulabschluss- und Integrationskursen als Methode der sekundären Rechtsextremismusprävention
Die Volkshochschulen als Anbieter von Schulabschlusskursen beobachten eine zunehmende Veränderung der Zielgruppe im zweiten Bildungsweg. So tritt die Eigenmotivation der Kursteilnehmenden zunehmend in den Hintergrund hinter die äußeren Zwänge des Arbeitsmarkts. Aufgrund dieser veränderten Ausgangsbedingungen reicht es oft nicht aus, jungen Menschen einen nachträglichen Bildungsabschluss anzubieten. Sozialkompetenzen sowie interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln ist zu einem wichtigen Bestandteil geworden. Zudem muss verstärkt auch mit der Biografie der Teilnehmenden und möglichen Ursachen für einen bisherigen schulischen Misserfolg gearbeitet werden.
Bildungsdefizite sowie Benachteiligung am Arbeitsmarkt sind mögliche, aber keine zwingenden Faktoren für den Aufbau von rechtsextremen Orientierungen. Allerdings haben die Dozent/-innen der Schulabschlusskurse bei den Teilnehmenden zunehmend Symptome der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, Vorstellungen von Ungleichwertigkeit bis hin zu manifesten rechtsextremen Einstellungen bemerkt. Ein möglicher Ausschluss von den Kursangeboten kommt lediglich als ultima ratio bei gravierenden Störungen und Vorfällen in Betracht. Hier galt es, passende Angebote zu finden, die ein Arbeiten mit dieser Zielgruppe ermöglichen.
Da es in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern mit einem derart geringen Anteil an Migrant/-innen kaum Möglichkeiten für erlebbare interkulturelle Kontakte gibt, entstand die Idee der interkulturellen Begegnung im Rahmen der Schulabschlusskurse. Im Rahmen des bis 2008 aus ESF-Mitteln finanzierten XENOS-Projektes „Bildungschancen. Lebenschancen. Chancen gegen Rechts“ des Deutschen Volkshochschul-Verbands wurde dies gemeinsam mit dem Volkshochschulverband Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen von Bildungscamps erprobt. Die Methode der zusätzlichen Bildungscamps (mit oder ohne Begegnungsanteil) ist mittlerweile in das Regelangebot vieler Volkshochschulen überführt worden, wobei sie den jeweiligen Zielgruppen und Gegebenheiten vor Ort angepasst wird.
Ablauf
Die Methode der Bildungscamps folgt in ihrem Kern der in der außerschulischen Bildungsarbeit lange etablierten Idee, dass es für den Bildungserfolg förderlich ist, Angebote an einen dritten, neutralen Ort durchzuführen. So werden die Teilnehmenden aus ihrer gewohnten Umgebung geholt. Im Rahmen des Modellprojektes wurde dieser Ansatz aus der Bildungsarbeit mit Vorstellungen der interkulturellen Begegnung und des sozialen Lernens kombiniert. Die Besonderheit liegt darin, dass die Gruppe der bildungsbenachteiligten jungen Erwachsenen im Rahmen von Schulabschlusskursen mit Teilnehmenden von Integrationskursen zusammengeführt wird. Beide Gruppen sind aus unterschiedlichen Gründen gesellschaftlich benachteiligt, wobei sich die sozialen, kulturellen und biografischen Bedingungen teilweise gravierend unterscheiden.
Im Rahmen der Angebote der Volkshochschulen haben sich zwei mögliche Szenarien etabliert: Im Rahmen des Modellprojektes „Bildungschancen. Lebenschancen. Chancen gegen Rechts“ wurde die so genannte Insellösung bevorzugt. D. h. die Gruppen trafen sich an einem für beide neuen und neutralen Ort, der zugleich die Möglichkeiten minimierte, sich aus dem Weg zu gehen. So wurde beispielsweise ein Kurs auf einem Schiff im Rahmen eines Segeltörns durchgeführt. Das andere mögliche Szenario beschreibt ein gegenseitiges Besuchen mit Besuch und Gegenbesuch. Hierbei tritt jede Gruppe einmal als Gastgeber für die andere Gruppe in Erscheinung. Die Bildungscamps finden in der Regel übers Wochenende oder als einwöchiger Kurs statt.
Im Rahmen der Bildungscamps gilt es, gemeinsame Lernsituationen für beide Gruppen zu schaffen und an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Hierbei werden theoretische Wissensvermittlung und praktische Tätigkeiten miteinander verbunden. So wurde beispielsweise im Rahmen von Bildungscamps gemeinsam ein Bauwagen saniert oder ein Videofilm produziert. Dieses gemeinsame Arbeiten fördert zudem die Identifikation mit dem Projekt und die gemeinsame Gruppenidentität.
Gelingensfaktoren
Die Idee des gemeinsamen Bildungscamps mit Teilnehmenden von Schulabschluss- und Integrationskursen ist kein Patentrezept, das nach einem festen Schema umgesetzt werden kann. Es ist unabdingbar für den Erfolg, die Methode den Gegebenheiten und Bedingungen vor Ort und vor allem den Bedürfnissen der Teilnehmenden anpassen. Die Gruppe wird dabei in die Gestaltung des Bildungscamps aktiv mit einbezogen. Die Entwicklung der Methode auch im Rahmen sekundärer Rechtsextremismusprävention ist den Gegebenheiten der Modellregion Mecklenburg-Vorpommern geschuldet.
Es empfiehlt sich, an den Beginn der mehrtägigen Bildungscamps Übungen zur Gruppendynamik zu setzen. Es ist wichtig, beiden Gruppen anfangs aufzulösen und in einer gemeinsamen, großen Gruppe aufgehen zu lassen. Nur so wird ein gemeinsames Arbeiten in Interaktion ermöglicht und es kann verhindert werden, dass die Gruppen aus dem zweiten Bildungsweg sowie aus den Integrationskursen parallel „bearbeitet“ werden. Stattdessen gilt es, Lernen an einem gemeinsamen Projekt zu ermöglichen. Hierzu zählt beispielsweise das gemeinsame Renovieren eines alten Bauwagens. Auch fördert es die gemeinsame, neue Gruppenidentität, wenn das gemeinsame Ergebnis im Anschluss öffentlich gemacht wird. In einem anderen Bildungscamp verhalf es den Teilnehmenden des Schulabschlusskurses zu einem Erfolgserlebnis, den Teilnehmenden des Integrationskurses beim Spracherwerb zu helfen.
Förderlich für das Gelingen der Bildungscamps ist es auch, die Lehrkräfte für die Arbeit vor Ort fortzubilden. Hierbei wird vor allem auf Argumentationstrainings im Umgang mit rechtsextremen und rassistischen Äußerungen sowie auf interkulturelle Kompetenz wert gelegt. Sie müssen befähigt werden, mit den anspruchsvollen Bedingungen dieser Bildungscamps umzugehen. Für beide Fortbildungen werden durch Volkshochschulen und ihre Verbände entwickelte Konzepte genutzt.
Lessons Learned
Es besteht die Gefahr der Überforderung und Überfrachtung der Bildungscamps. Erwachsenenbildner/-innen sind keine Sozialpädagog/-innen. Um die Kursleiter/-innen in den anspruchsvollen Situationen nicht alleine zu lassen, sind die Volkshochschulen zunehmend bemüht, die Bildungscamps gemeinsam mit Sozialpädagog/-innen umzusetzen. Hierbei spielt es sicherlich auch eine Rolle, dass die Teilnehmenden an den Schulabschlusskursen immer jünger werden. Es ist zudem wichtig, die Rollen zwischen Sozialer Arbeit und Bildungsangeboten zu trennen und deutlich zu kommunizieren.
Auch sind realistische Vorstellungen über die Ziele und Möglichkeiten solcher Bildungscamps notwendig. Als Ort der Begegnung können sie dabei helfen, eigene Vorurteile zu hinterfragen und den Weg für eine weitere Einstellungsveränderung bei den jungen Menschen zu ebnen. Es gilt, erste Impulse zu setzen und Möglichkeiten zu schaffen.