Radikalisierungen
Schwerpunktheft der Zeitschrift "Interventionen. Zeitschrift für Verantwortungspädagogik" (2014:4)
Inhalt
Der langjährige Mitarbeiter des SportJugendClubs Lichtenberg, Peter Steger, beschreibt in seinem Aufsatz die Motive der Jugendlichen für die Annäherung an rechtsextreme Szenen sowie die Konsequenzen, die sich hieraus für die pädagogische Praxis ergeben. Er unterscheidet zwischen einer sekundären und einer primären Motivation für die Annäherung. Das Versprechen der Zugehörigkeit zu einer „großen Idee“ oder die Legitimierung der eigenen Gewaltneigung durch die rechtsextreme Ideologie sind eher sekundäre Motive, denen biografische Faktoren und Sozialisationserfahrungen vorangehen. Den Begriff des Einstiegs in den Rechtsextremismus lehnt er jedoch als unbrauchbar für die pädagogische Arbeit ab. Der Begriff würde das Prozesshafte in der Hinwendung zur rechtsextremen Szene verschleiern.
Gideon Bosch wendet sich in seinem Beitrag gegen stereotype und vereinfachende Vorstellungen von Einstiegsprozessen. Er betont hingegen die Vielfalt an Hinwendungsprozessen und stellt eine Typologie von idealtypischen Einstiegsverläufen vor. Diese heben jeweils lebensweltliche, kognitive oder familiäre Faktoren hervor. Lebensweltliche Einstiegsprozesse betonen die Bedeutung des außerfamiliären persönlichen Umfelds der Jugendlichen. Andere Jugendliche nähern sich dem Rechtsextremismus eher interessensgeleitet und kognitiv an. Dies geschieht bspw. über die Beschäftigung mit germanisch-heidnischer Geschichte oder dem Zweiten Weltkrieg. Zuletzt kann die Herkunftsfamilie eine entscheidende Rolle für den Aufbau spielen, wenn eine familiäre Identifikationsfigur wie bspw. der Großvater selbst rechtsextreme Einstellungsmerkmale aufweist.
Nicht-intendierte Effekte der Terrorismus- bzw. Extremismusbekämpfung, die teilweise gegenteilige Wirkungen erzielt, sind das Thema des Beitrages von Michail Logvinov. Dies wird unter dem Begriff der Co-Radikalisierung thematisiert.
Jan Buschbom stellt in seinem Beitrag die Grundzüge einer niedrigschwelligen politischen Bildung mit ideologisierten Jugendlichen vor. Dabei beschreibt er die Folgen des Generalverdachts, soziale Arbeit mit ideologisierter Klientel würde milieustabilisierend wirken und die Selbststilisierung als Opfer reproduzieren. Viele Sozialarbeiter/-innen scheuen daher in ihrem beruflichen Alltag die bewusste Auseinandersetzung mit ideologisierten Jugendlichen. Neben der Sorge, gegen rechtliche Normen zu verstoßen, sind häufige Ängste, dem Wissen rechtsextremer Jugendlicher nicht statthalten zu können oder die Jugendlichen überhaupt erst in die Radikalisierung zu treiben. Buschbom stellt dagegen niedrigschwellige politische Bildung als eine Möglichkeit vor, mit ideologisierten Jugendlichen pädagogisch zu arbeiten. Zentraler Ansatz dabei ist, die Geschichten der Klienten und ihre Deutungen sozialer, politischer und historischer Themen aufzugreifen, ohne dabei in moralische Apelle oder Belehrungen zu verfallen.
Anne Goldenbogen berichtet aus der antisemitismus-kritischen Bildungsarbeit im Rahmen eines Modellprojekts des KIgA e. V. Neben einer prinzipiellen Kenntnis des Phänomens sei zentral, die Zielgruppen der Arbeit und deren Lebenswirklichkeit zu kennen. Sie geht besonders auf Antisemitismus im Kontext von Israelkritik ein und verweist auf die Zusammenhänge von Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft und Islamfeindlichkeit. Eine Grundthese ist, dass Bildungsarbeit gegen Antisemitismus sich nicht auf Aufklärung über den Holocaust beschränken darf.
Abschließend schildert Thomas Mücke die praktischen Erfahrungen des Violence Prevention Networks aus der „Beratungsstelle Radikalisierung – Beratung für Angehörige im Kontext Islamismus“. Dabei stellt er relevante Wirkfaktoren für die Arbeit vor.
Anwendungsbereich
Der Fokus des Schwerpunkthefts liegt auf der Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten, straffällig gewordenen Jugendlichen im Jugendstrafvollzug. Zugleich bieten sich die Reflexionen für jegliche pädagogischen Arbeitsfelder an, in denen Pädagog/-innen in Kontakt mit der Zielgruppe rechtsextremistisch orientierte Jugendliche kommen können. Die Zeitschrift versteht sich als theoretischer Diskursraum für pädagogische Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit, ist mit diesem Anspruch auch für Wissenschaft sowie eine breite, thematisch interessierte Fachöffentlichkeit von Interesse.
Verwendung als Impuls- / Begleitmaterial
Der Fokus des Schwerpunkthefts liegt auf der Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten, straffällig gewordenen Jugendlichen im Jugendstrafvollzug. Zugleich bieten sich die Reflexionen für jegliche pädagogischen Arbeitsfelder an, in denen Pädagog/-innen in Kontakt mit der Zielgruppe rechtsextremistisch orientierte Jugendliche kommen können. Die Zeitschrift versteht sich als theoretischer Diskursraum für pädagogische Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit, ist mit diesem Anspruch auch für Wissenschaft sowie eine breite, thematisch interessierte Fachöffentlichkeit von Interesse.